Warum die Cafés Philos so grossen Zuspruch finden.
Als der inzwischen verstorbene Philosoph Marc Sautet in den 80er Jahren in Paris damit begann, im Café des Phares mit irgend welchen Passanten über deren Fragen zu diskutieren, hätte er wohl kaum gedacht, dass seine Idee, die Philosophie aus dem Elfenbeinturm auf die Strasse heraus zu holen, ein so grosses Echo finden würde. Heute führen drei seiner Kollegen abwechslungsweise jeden Sonntag so ein Gespräch mit 100-200 Teilnehmenden (und einem Mikrofon, das herumgereicht wird), und nicht nur in diesem, sondern gleich in mehreren Cafés in ganz Paris finden sich ständig Interessierte ein für die gemeinsamen philosophischen Gespräche. Die Bewegung verbreitete sich über ganz Frankreich und schwappte schliesslich auch auf die Nachbarländer über, und seit einigen Jahren spriessen auch bei uns die Cafés Philos allenthalben aus dem Boden: Bern, Fribourg, Solothurn, Luzern, Winterthur, Zürich, Basel... und seit einigen Jahren nun auch noch in Miniatur-Ausgabe bei mir im Käuzli!
Am 6. Januar 2008 konnte ich bei einem Blitzbesuch in Paris das "Premier bistro philo de Paris" am Place da la Bastille persönlich kennen lernen. Der österreichische Philosoph Gunther Gorhan, der seit vielen Jahren in Paris lebt, ist einer der drei Kollegen von Sautet und sass tatsächlich auch am 6. Januar dort beim Gespräch im Bistro!
Ich hatte in den letzten drei Jahren die Gelegenheit, an mehreren Orten als Gesprächs-Moderatorin mitzuwirken, und jedesmal war und bin ich von Neuem überrascht, wie leicht es gelingt, 50 und mehr Leute auf ein Thema, das zuvor demokratisch vorgeschlagen und ausgewählt wurde, zu konzentrieren. Man hört einander zu, stellt Fragen und formuliert kritische Einwände. Manchmal steuern Fachleute oder sonstwie Belesene ihre differenzierten Ansichten bei, sehr oft aber getrauen sich auch Personen mit ganz normalem "gesunden Menschenverstand" ohne irgend welche philosophischen Vorkenntnisse ihre Meinungen einzubringen, und nicht selten sind es gerade diese im guten Sinne "naiven" Einwände, welche das Gespräch besonders befruchten.
Es ist die Besonderheit dieser Gespräche, dass nicht in irgendwelchen akademischen Höhen diskutiert wird, sondern dass der Boden unserer Alltagserfahrung immer wieder als Ausgangs- und Landepunkt dient. Auf diese Weise bekommt die Philosophie von ihren ältesten Qualitäten zurück, welche schon den grossen Griechen damals, allen voran dem Sokrates, wichtig waren: Das neu Überdenken vieler vermeintlicher Selbstverständlichkeiten, das unverfrorene Hinterfragen aller möglichen Werte, und schliesslich die Relevanz des Diskutierens für die alltägliche Lebenspraxis.
Was ist ein gutes Leben? Was heisst überhaupt "gut"? Stimmt es, dass, wer das Gute kennt, es auch tut? In diesem letzten Punkt waren die Griechen wohl zu optimistisch, und es ist höchste Zeit, dass wir weiter überlegen, wie denn das "Gute" unsere Welt zum Besseren führen könnte, wie aus dem besseren Wissen auch ein innovatives, verantwortlicheres Handeln resultieren kann. Oder, wie ein Maturand es an einem der Cafés kürzlich vorschlug: Wir sollten uns viel bewusster sein, wie es tatsächlich um unsere Freiheit bestellt ist, und weniger oft denken "da kann man eben nichts machen"!
Mit den Café Philos ist die Philosophie auf den Marktplatz, die Agora, zurückgekehrt. Dass hier (im Gegensatz zum damaligen Athen) unterdessen auch die Frauen eine Stimme erheben, hat dem Diskurs durchwegs gut getan, denn – und ich wage dies als Frau zu behaupten – weibliches Denken ist offener für quere Gedanken, für Ideen, die zwar hoffentlich nicht nur aus dem Bauch, aber doch etwas weiter oben, aus der Herzgegend, stammen und vielleicht deshalb oft auch mutiger in der Denklandschaft der ausgetretenen Wege stehen als so manches elaboriert fachmännische Votum. Ich freue mich daher immer, wenn ich feststelle, dass das Publikum in den philosophischen Cafés bestimmt zur Hälfte aus Frauen besteht (und wünschte mir andrerseits, dass in meinem kleinen Käuzli-Café vermehrt auch die Männer anwesend wären).
Warum kommen man(n) und frau in Scharen zu den Cafés?
Diese Umfrage wäre noch zu unternehmen. Ich vermute, es liegt daran, dass hier über Wesentliches nachgedacht und diskutiert wird, und dies in einer Art von Kommunikation, die von gegenseitigem Respekt und Interesse geprägt ist. Sophistische Besserwisserei und Besser-Rederei sind nicht gefragt, sondern ernsthaft engagiertes Suchen und sich Auseinandersetzen mit Fragen, deren Antwort nicht im Voraus klar zu sein scheint. Festgefahrene Meinungen, die krampfhaft verteidigt werden müssen, sind nicht nötig, dafür vorläufige, suchend heran tastende Aussagen sehr erwünscht. Gemeinsame Suche nach mehr Klarheit, im besten Sinne Liebe zur Weisheit – das heisst Philo-Sophie im ursprünglichen Wortsinn.
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